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Lausitzer Rundschau vom 24.06.2005
Viel Fleisch essen Seele nicht auf
Die schönste Hauptnebensache im Cottbuser Kunstmuseum
von Klaus Trende
„Verlockung – Erotik in der Plakatkunst“ heißt die neue Ausstellung in den Kunstsammlungen der Branden-burgischen Kulturstiftung. Haupt- oder Nebensache, – jedenfalls die schönste, wie jeder Lebendige noch weiß, ist das Thema dieser Schau. In rund 150 Plakaten zeigen 65 Grafikdesigner aus Europa, Asien und den USA ihre Wahrnehmungen von der Erotik.
Meinhard Bärmich, Frühlingserwachen

Dass dieses Phänomen nicht auf die Sexualität beschränkt ist, sondern alle möglichen und unmöglichen Erlebnisräume zu beschreiben vermag, überrascht nur denjenigen, der hinter dem Wald des Sinnlichen wohnt. Als Perspektive weiß man nach dem Ausstellungsbesuch: Der Vatikan wird sich um diese Arbeiten nicht bewerben.

Was alle Plakate eint, ist die spielerische Vielfalt der Sehweisen, der Deutungsmöglichkeiten und ästhetischen Zeichen für einen privat betriebenen, aber gesellschaftlich nach wie vor verklemmten Akt. Was ist Schönheit und Lust,

was Leidenschaft und Gefühl« Und wo geht die Schweinigelei los» Die Grafiker geben ihre Bildantworten souverän und mit künstlerischer Raffinesse. Für diese Poster ist alles selbstverständlich. Da wird munter und auf hohem Niveau der Formsprache drauflos provoziert, gewitzelt, nachgedacht, vorgedacht, entdeckt, entkleidet, verschmitzt gelüftet, lüstern-verklärt aufgeklärt. Überwiegend handelt es sich um Auftragsarbeiten fürs Theater, für den Film, für Ausstellungen.

Das Seltsame an der Sache, oder vielleicht Logik der Schöpfung: meist sind Frauen die Anlässe für das Liebe-volle Treiben, deren Körperharmonie, die Stromlinie der Taille, der Venusberg, die zarten Brüste. Naja, sie sind ja auch was ganz Besonderes. Stimmt's«! Aber die Plakate greifen weiter im Wortsinn. Sie setzen das erotische Pathos in Beziehung zur Gesellschaft, zu ihrer (Doppel-)Moral, und da ist freilich keine Vervielfachung gemeint. Von Don Juan bis zur chinesischen Liebeskunst reicht der grafische Bogen, der niemals schmerzhaft überspannt wird. Der Mund, Schenkel, Romeo und Julia, die natürlichen Reproduktionswerkzeuge der Spezies (Sie wissen, was der Autor meint), – immer wieder Fleisch, was sonst» Aber mit so viel intellektueller Energie ins Bild gesetzt, dass es einem zuweilen die Sprache verschlägt.

Es gibt Meisterstücke. Meinhard Bärmichs Arbeit zu Wedekinds „Frühlingserwachen“ (2005) zählt dazu. Knapp, reduziert, frech variiert er das Theaterstück. Nur die Bettdecke und die Füße vor rosa Kulisse; und wie eine Lanze der Penis gen Himmel gerichtet. Fons Hickmanns Ausstellungsplakat „Die Warenwelt tut die Madonna erst im Museum“ (1995) provoziert mit Versatzstücken der Moderne, rührt am Kulturzustand, wirft Fangseile, trifft ins „Schwarze“.

Edvard Munchs berühmtes Gemälde „Der Schrei“ konterkariert hier die Pornoindustrie anhand einer dazu korrespondierenden aufblasbaren Sex-Puppe mit den entsprechenden Öffnungen. Ein gewagtes Duo, aber es funktioniert als kritische Einmischung. Kein Abbild kann drastischer sein als die Realität. Lex Drewinski konstituiert mit alten Formen neue Bilder. „Casanova“ (2000) scheint im Scherenschnitt nie anders ausgesehen zu haben als mit Penisnase und Hodenkinn. Eine besondere und umfängliche Erörterung wäre die Symbiose von Jazzfeeling und Erotik wert.

Resümee: Soviel Phantasie blüht nirgends wie bei diesem Thema. Makato Saito setzt sein Plakat „Liebe Mutter Erde“ (2001) in die Gaia-Tradition. Alles kommt von ihr. Die Erde ist weiblich. Aus der Vagina und unter der Achsel des schönen Mädchens wachsen die Gräser. Es lebt und gedeiht, dass die Heide wackelt.

Leidenschaft ist Trumpf. Man spürt: die Künstler schöpfen nicht nur aus der Beobachtung, sondern auch aus ihren tief reichenden Erfahrungen. Sittenbilder, Sozialstudien, humoriges Forschen allüberall. Bei Elzbieta Chojna wird's ernst, denn die Künstlerin zeigt in einer schmucklosen Studie, worauf es den Geschlechtern ankommt. „Romeo und Julia“ (2003): Sie greift nach seinem Herzen an der linken Brust, aber sein Blick geht in ihr „Herz“, und das liegt zwischen den Schenkeln. Die Romeos wollen eben immer bloß das eine, wa? Trix Wetter sagt es anders in „Lingerie: Eine Unterwelt“ (1998), wo Winston Churchill ein kolossaler Büstenhalter in die Hand gedrückt wird.

Viele Designer wären zu nennen, die originell bei der Sache bleiben. Aber es gibt ja einen hervorragend gestalteten Katalog, wo dann auch die Arbeiten von Butzmann, Wallat, Tomaszewski, Steiner, Pfüller, Olbinski, Jego, Tsai Lee, Kalarus, Haufe, Grotrian-Steinweg, Freeman, Geissbühler und wie sie alle heißen zu sehen sind.

(Ausstellung bis 18. September, geöffnet Dienstag und Donnerstag 10 bis 20 Uhr, Mittwoch, Freitag und Sonntag 10 bis 18 Uhr, Samstag 14 bis 18 Uhr. Katalog 15 Euro)